Saleban I. erstach 2018 seinen Arzt und bekam schon Ausgang Jetzt bangt die Witwe um die Sicherheit ihrer Familie Saleban I. während des Prozesses vor dem Landgericht Offenburg
Foto: Knut Anstötz

Von: Lena Zander 19.06.2023 - 11:45 Uhr

Offenburg - Er nahm ihr die große Liebe und den Vater ihrer Tochter - jetzt bangt Tünay T.* auch noch um die Sicherheit ihrer Familie, ihrer Liebsten und der Einwohner von Offenburg.

"Mein Mann wurde mitten aus dem Leben gerissen; wir wurden entzweit", sagt die Frau mit türkischen Wurzeln zu BILD. "Unserer Tochter wurde ihr Papa, ihr bester Freund, aber auch ihre heile, glückliche Familie und Kindheit genommen - das unbeschwerte Lachen."

Der Mensch, der ihr das antat, heißt Saleban I. (31). Er tötete den Offenburger Arzt Joachim T. (†53) am 16. August 2018 in dessen Praxis mit 20 Messerstichen. Und wurde nach Paragraf 63 der Strafprozessordnung freigesprochen.

Die forensische Klinik Emmendingen. Hier soll Saleban I. von seiner paranoiden Schizophrenie geheilt werden
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Das Landgericht Offenburg befand ihn im März 2019 für schuldunfähig, weil ein Gutachter ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostizierten. I. wurde in die psychiatrische Klinik in Emmendingen (Baden-Württemberg) eingewiesen.

Wolfram Schädler (74), Anwalt der Familie T., erklärt: "Wenn jemand für seine Taten nicht verantwortlich ist, kann er dafür auch nicht bestraft werden. Das sagt unser Gesetz. Er muss sich bewusst für das Böse entscheiden."

Zur Heilung von Saleban I. gehört neben Medikamenten und Therapien bei Fortschritten auch die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Dr. Wolfram Schädler vertritt die Arztwitwe Tünay T.
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Dominik Nassall, Pressesprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Offenburg, zu BILD: "Durch die Behandlung im Maßregelvollzug soll die untergebrachte Person so weit möglich geheilt werden, dass sie nicht mehr gefährlich und eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft möglich ist."

Nassall weiter: "Diese Lockerungen sind dabei wichtige Therapiebausteine, die den Verurteilten auf eine selbstständige Lebensführung vorbereiten und den Heilungsprozess unterstützen sollen".

Im November 2022 bewilligte die Staatsanwaltschaft dem Ostafrikaner, dessen genaue Herkunft und Alter bis heute unklar sind, deshalb solche Ausgänge. I. durfte sich täglich drei Stunden frei außerhalb des Klinikgeländes "in Stadtnähe" in Emmendingen bewegen.

Zuerst noch mit stündlichen Kontrollanrufen aus der Klinik. Nach wenigen Wochen fielen auch die weg. Ganz legal.

Das Familiengrab, in dem Joachim T. beerdigt wurde. Auf dem Grabstein steht: "Du fehlst uns"
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Mit diesen bewegenden Worten erinnert die Witwe Tünay T. an ihren Mann
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Dr. med. Ralf Zehnle (61), medizinischer Direktor Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Emmendingen, in der Saleban I. untergebracht ist, zu BILD: "Wir müssen bei Patienten, bei denen sich durch die Behandlung das Krankheitsbild gebessert hat, begründen, warum wir ihnen keinen Ausgang gestatten."

Tünay T. erfuhr von Saleban I.s Ausgängen erst Wochen später durch ihren Anwalt Wolfram Schädler. Nach BILD-Informationen sollen drei Zeugen den psychisch Kranken in Offenburg, unweit des Wohnortes der Witwe, gesehen haben. Darüber informiert, dass der Killer ihres Mannes stundenweise wieder auf freiem Fuß ist, wurde Tünay T. von der Staatsanwaltschaft vorab nicht.

Die Staatsanwaltschaft Offenburg begründet das so: "Hinterbliebenen steht gesetzlich das Recht zu, über Vollzugslockerungen informiert zu werden. (...) Allerdings erfolgt eine solche Benachrichtigung nur auf Antrag der Hinterbliebenen." Gerecht? Zumindest geltendes Recht! Nach BILD-Informationen soll Tünay T. vorab zwei Anträge gestellt haben, in denen sie um Auskunft bat.

Seitdem sie von den Ausgängen weiß, lebt Tünay T. in Sorge. In Sorge darum, dass der Saleban I. zu früh aus dem Maßregelvollzug kommt und wieder rückfällig werden könnte.

Obwohl, sie weiß, dass der Killer ihres Mannes sie vermutlich nur mit einer Wahrscheinlichkeit von "0,001 Prozent auf dem Schirm" hat. "Manche Bilder bleiben und mit ihnen die Schmerzen. Es grenzt an ein Wunder, aber wir können trotz allem weiterleben - wenn auch nicht mehr wie zuvor."

WARUM? Kurz nach dem tödlichen Messerangriff legten Freunde und Bekannte Blumen am Tatort nieder und sprachen der Familie T. ihre Anteilnahme aus
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Als die Staatsanwaltschaft am 5. Juni durch T.s Anwalt Wolfram Schädler von Saleban Is. vermeintlichen Besuchen in Offenburg erfuhr, strich sie ihm die Ausgänge sofort.

Sie prüfe nun, "ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Verurteile gegen seine Auflagen im Rahmen der Vollzugslockerungen verstoßen hat".

Die Entscheidung darüber soll nach BILD-Informationen Mitte Juli fallen. Saleban I. leugnet seine Abstecher ins 54 Kilometer entfernte Offenburg.

Für Tünay T. und ihre Tochter geht bis dahin das Bangen weiter. "Einen weiteren vermeidbaren Einzelfall oder ein Zufallsopfer im Rahmen eines psychologischen Ausnahmezustandes könnten wir nicht mehr verkraften. Wir leben bereits mit dem Wissen, was meinem Mann angetan wurde."

Die Witwe fühlt sich ihrem Grundrecht, dem Schutz um ihre Sicherheit, beraubt. "Menschen wie ich möchten weder mahnende Zeigefinger noch einen Kranz, mit dem sich Politiker medienwirksam ablichten lassen. Sie wollen nur eins: Schutz von Leib und Leben."

Für viele Hinterbliebene ist es schwer, dass laut Gesetz der Schwerpunkt auf der Heilung von Tätern und nicht auf der Bestrafung der Taten liegt.

Die Tat

Es ist Donnerstag, der 16. August 2018. Dr. Joachim T. (†51) versorgt wie jeden Morgen seine Patienten. Um 8.45 Uhr betritt Saleban I. (29) die Offenburger Arztpraxis. Er geht mit einem Messer (Klinge: 13 cm) auf die Arzthelferin Elke D. los.

Dann sticht er 20 Mal auf Joachim T. ein. Die Arzthelferin wird verletzt und überlebt. Joachim T. s Verletzungen sind so schwer, dass er noch in seiner Praxis stirbt. Saleban I. wird kurz darauf in seiner Asylunterkunft festgenommen.

In diesem Haus (li.) in Offenburg betrieb Dr. Joachim T. seine Arztpraxis. Hier wurde er auch von Saleban I. erstochen
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Das Motiv: Saleban I. warf Joachim T. vor, bei einer einmaligen Blutentnahme 2016 durch den Mediziner vergiftet worden zu sein.

* Name geändert


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